Update from
Über ein Jahr kein Update in diesem Blog.
Wo fängt man da an? Beim nächsten oder beim letzten? Wir haben Lacrimosa 2020 aufgeführt mit einem wunderbaren Team. Wir haben eine Optionsförderung der Stadt München erhalten und können jetzt mit dem Netzwerk Münchner Theatertexter*innen 3 Jahre lang ein vielfältiges Programm gestalten, künstlerisch forschen und ein hoffentlich tolles kollektives Stück auf die Bühne bringen.
Es gibt Wiederaufnahmen und weitere Pläne mit Lea Ralfs: Wir wollen unsere gemeinsame Arbeit auf jeden Fall fortsetzen, auch wenn sie jetzt in Hamburg lebt. Im September und Oktober Innuendo und Lacrimosa 2020. in letzterem Stück ging es auch um meine Oma, die vorgestern ihren dritten Todestag hatte und in deren Garten ich gerade sitze. Heutebin ich die Strecke gelaufen, die wir damals auch gelaufen sind - vermute ich. die mir so anders und magisch in Erinnerung ist, als ich sie heute erlebte.
Dieses alte Bauernhäuschen, das immernoch nach ihr riecht. Der letzte Ort meiner Kindheit, an den ich noch irgendwie hin gehöre, weil er noch im Besitz der Familie ist. Etwas, von dem ich glaube, dass ich es gerne bewahren möchte. Aber vielleicht muss man im Leben einfach nur lernen immer wieder und immer wieder loszulassen. Jeden Moment, jede Beziehung, jede Stunde und jede Sicherheit, immer wieder Abschiede.
m September stehen weitere Veränderungen an, die mich freuen und gleichzeitig ängstigen: Kann ich das? Aber diese Zeit ist noch nicht gekommen und auch das ist wahr: Die Zukunft, vor der man sich fürchtet, oder die einen mit Sorge erfüllt, darf man ebenso loslassen: Sie ist noch nicht da.
Ebenso wie man die Großmutter gehen lassen muss.
Hier ein Auszug aus dem Text, den ich über meine Oma für Lacrimosa schrieb, der im Stück aber dann stark gekürzt werden musste:
Als meine Großmutter im Sterben lag reisten alle Mitglieder meiner Familie von dort, wo sie gerade waren an und wir kamen alle zu spät. Ich war in Hamburg, mein Mann in München, meine Brüder in Berlin und mein Vater in Italien. Als die Nachricht eintraf hatte ich das Gefühl, ein Netz ziehe sich zusammen und wie an einer Schnur gezogen bewegten wir uns alle auf den gleichen Punkt zu: Das Krankenhaus, in dem meine Oma lag.
Ich war bei einem Kongress in Hamburg und fuhr morgens um 6 mit dem ersten Zug von Altona los. Der Himmel war so finster und dunkel vor Regenwolken, dass es selbst im Juni um diese Zeit stockfinster war, Regentropfen und Hagel, Windböen, wie eine völlig übertriebene Illustration meiner Gefühlswelt, die irgendwie eher matter und ängstlicher war als dieses aufgepeitschte Wetter. Als ich Hamburg hinter mir ließ, ließ ich nach einiger Zeit auch die Wolken zurück. Eine Stunde bevor ich eintraf, war meine Oma gestorben. Ich bin froh, dass meine Oma nicht alleine gestorben ist, sondern, dass mein Opa bei ihr war. Es war vielleicht auch passend, dass wir nicht als Familie um das Bett herum standen und dabei zu guckten, sondern, dass sie mit Opa alleine war und er sich so von ihr verabschieden konnte.
Wir sind alle nacheinander eingetrudelt: Mein Mann und ich kamen ins Krankenhaus und Opa war weg, meine Brüder und mein Vater kam ins Krankenhaus und wir waren weg. Wir haben uns alle irgendwie verpasst. an der Tür zum Zimmer, in dem meine Oma lag, als wir zu spät eintrafen, klebte ein Malerkrepp-Streifen auf dem Stand: Bitte vor dem Eintreten bei der Pflegestation melden.
Opa war schon weg, als wir auf die Station kamen, die Pflegerin meinte, er wäre spazieren gegangen. Und wir gingen allein in das Zimmer mit der Toten. Die Tote. Die Oma. Die tote Oma. Ich weiß noch, dass es im Zimmer viel zu warm war und ich sagte: Ach Oma und traute mich nicht, sie zu berühren. Dann blieben wir ein paar Minuten bei ihr im Zimmer und nichts geschah. Und weil wir nicht wussten, was wir tun sollten,, den Opa auch nicht erreichten und der Reste der Familie immer noch auf den Autobahnen festhing, fuhren wir zum Opa nach Hause.
Der gar nicht so unwahrscheinliche Moment, am Todestag der Oma mit dem Opa und dem Mann unter dem Kirschbaum zu sitzen, sich bedächtig darum zu bewegen und Kirschen zu pflücken, in einer Juni-Sommerhitze, die einen nicht niederdrückt sondern kräftig. Ich hatte das Gefühl, die Trauer leuchtet so kräftig zwischen den Kirschen. Die Situation hatte etwas bedächtiges und fragiles; Ein zartes Gleichgewicht, das jeden Moment zerbrechen konnte. Während wir miteinander sprachen pflückte ich Kirschen. In meiner Erinnerung flüsterten wir, sprachen im Plauderton miteinander.
Nach der ganzen Reise, dem zähen Hoffen, sie noch lebendig zu sehen, dann zur Ruhe zu kommen und Kirschen zu essen, Kaffee zu trinken und über die Oma zu sprechen. Es war eine Fülle darin, eine Ruhe und eine Gelassenheit und eine Schwere so reif wie die Früchte, die ich mit nach Hause nahm.
Ich erinnere einen Spaziergang mit meiner Oma besonders genau. Wir gingen vom Bauernhaus, durch den Wald um Brathähnchen zu holen. In meiner Erinnerung steht irgendwo im Wald eine Hähnchenbude. Es ist sehr warm und Hochsommer und wir laufen zu zweit auf einem Feldweg, schnurgerade durch den Wald. Meine Oma erklärt mir welche Bäume und Sträucher um uns herum stehen, aber eigentlich ist es ganz still und ruhig. Dann gibt es einen Moment mit den duftenden Brathähnchen in einer Tasche oder Plastiktüte und wir laufen zurück und alles verbindet sich zu einem sehr vollständigen Gefühl von Geborgenheit: Das Licht, der Wald, die Oma und die Hähnchen.
In diesem Moment im Garten hatte ich das Gefühl, dass etwas geschehen war, während gar nichts passiert, wir waren ganz wie von selbst in einer Art Zentrum angekommen, in einer Mitte, als habe der Kirschbaum eine eigene Gravitation, der wir uns nur hatten ergeben müssen. Ich ging rund um den Baum, pflückte mal hier und mal dort einige Früchte vom Baum und sammelte die Früchte in einem Körbchen. Es gab Kaffee und soweit ich mich erinnere auch Kuchen. Wir sprachen über die letzten Wochen der Oma, aber auch über vieles andere.
Meine Oma war vor langer Zeit schon einmal knapp am Tod vorbei geschrammt, seitdem war sie wohl nicht mehr dieselbe und hatte mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Anders kannte ich sie nicht. in Den letzten jahren verstärkte sich das: Sie konnte kaum noch spazieren oder Treppensteigen, hatte immerzu Atemnot. Sie hielt bei einem Spaziergang am Kaiser-Ludwig-Kanal immer wieder inne, stützte ihre Hände auf die Knie, bedeutete uns mit einer wegwerfenden Handbewegung, schon weiter zu gehen. Vielleicht ist der Tod gar kein “von uns gehen” sondern ein “Stehenbleiben” des oder der Toten und alle anderen gehen weiter. Was natürlich der Erfahrung widerspricht, dass mit dem Tod eine Angehörigen erstmal einiges zum Stillstand kommt, so wie wir. Irgendwann blieb sie auf einer Bank zurück und wir gingen weiter, sammelten sie auf dem Rückweg wieder ein. Im Nachhinein denke ich, ich hätte mich zu ihr setzen sollen.
Als später meine Brüder und mein Vater mit seiner Frau ankamen, gab es auch für sie Maultaschen und wir saßen wieder im Garten zusammen, aber es hatte für mich nicht die gleiche seltsame geerdete Schwere wie zuvor. Am Abend ließen wir den Opa mit seiner Trauer allein und fuhren jeder nach Hause. Ich hatte eine Plastiktüte voll Kirschen, aus der ich meinen allerersten Kirschkuchen backte.